Unser Vorschlag: Zum Erhalt traditioneller Hecken- und damit Landschafts-Gestaltungsformen, deren Anlage mehr Zeit und spezifischere Kenntnisse erfordert als bloßes Abstocken der Gehölze, sollten höhere Stundensätze oder Festbeträge pro laufendem Meter Hecke genehmigt oder in eigenen Fördermodulen festgelegt werden.
Überall in Europa gab es historisch Hecken, die auf regional unterschiedlich ausgeprägte Weisen zu für Weide- und Wildvieh undurchdringlichen „lebendigen Zäunen“ geformt wurden: Je nach vorherrschender Gehölzart durch Biegen und/oder Knicken, teils in Kombination mit dem Zurückschneiden einzelner Pflanzen in verschiedenen Höhen („Stufen“), oder durch kreuzförmiges Verflechten. An alten Knicks in Schleswig-Holstein kann beobachtet werden, dass hier auch die heute fast nur noch in den Niederlanden und Großbritannien praktizierte Technik des Heckenlegens üblich war1. Seit der Einführung des industriell hergestellten Stacheldrahtes in Deutschland in den 1880er Jahren ist diese Art der Heckenpflege jedoch stark zurückgegangen und vielerorts bereits gänzlich in Vergessenheit geraten. In einzelnen Regionen ist die regional verwurzelte traditionelle Heckenform überliefert: Dazu gehören die Wallhecken im Münsterland und in Schleswig-Holstein (in letzterer Region aufgrund der traditionellen Bearbeitungsart „Knicks“ genannt), ebenfalls aus dem Münsterland die „Lippborger Biegehecke“ sowie die „Nieheimer Flechthecke“ im Paderborner Land sowie die Marktoberdorfer Biegehecke im Ostallgäu2.
Die historischen Heckenformen und ihre Pflegemaßnahmen haben große Vorteile gegenüber einem bloßem Abstocken von Heckenpflanzen („auf-den-Stock-Setzen“: in 60 bis 90 cm Höhe oder „auf-den-Stubben-Setzen“: „eine Handbreit über dem Boden → bis 40 cm Höhe3), das vielerorts als einzige Form der Pflegemaßnahme verblieben ist. Werden alle Pflanzen eines Heckenabschnitts abgestockt, verlieren sie und die in ihnen lebenden Tiere sämtlichen Schutz vor Witterung und Fressfeinden. Besonders in ausgeräumten Landschaften finden viele Heckenlebewesen dann keine Ersatzzuflucht. Manche Vogelarten haben ihre Reviere, sodass auch die Vögel, die im verschwundenen Heckenabschnitt gelebt haben, nicht ohne weiteres in den verschonten Nachbarabschnitt der Hecke umsiedeln können – dieser ist ggf. schon von anderen Artgenossen besetzt. Wird eine Hecke dagegen wie traditionell üblich nur strauchweise zurückgeschnitten, geknickt, nachgebunden usw., kommt es nicht zu diesem in regelmäßigen Abständen sich wiederholenden Wegfall des Lebensraumes. Alle Funktionen der Hecke bleiben kontinuierlich erhalten.
Diese Arbeit erfordert spezifische traditionelle Kenntnisse, die nurmehr von wenigen Menschen beherrscht und meist ehrenamtlich weitergegeben und angewendet werden. Dieses Kulturerbe4 – sowohl der Anblick entsprechend traditionell gestalteter Hecken in der Landschaft wie auch die dazugehörigen Kenntnisse – drohen verloren zu gehen. In Großbritannien erfahren die dort verbreiteten vielfältigen regionalen Legetechniken seit etwa 40 Jahren eine Renaissance, indem unter dem Motto „preserving the past to protect the future“ sehr erfolgreich die Kombination aus Kulturerbe und ökologischem Mehrwert in das öffentliche Bewusstsein getragen wurde; inzwischen interessieren sich dort auch vermehrt junge Menschen für das Erlernen dieser Kulturtechniken. Das sollte auch in Deutschland unser Ziel sein. Denkbar wären neben ausreichend hohen Fördersätzen zur Durchführung der notwendigen Arbeiten5 (ggf. in Kooperation mit Fördermitteln aus dem Bereich der Kulturförderung) auch eine Implementierung in Freilichtmuseen6, die Einrichtung von Kursen, Angebote für Schulexkursionen, etc.
________________________
1: Die verschiedenen Bearbeitungstechniken führen nach der Verheilung zu sehr spezifischen Narbenmustern, an denen bei noch erhaltenen alten Heckenpflanzen erkennbar ist, ob sie einst geknickt oder eingehauen und geknickt wurden oder ob in der „englischen“ Art eine spezielle Lasche ausgearbeitet wurde, mit der die Pflanzen dann gelegt werden konnten. Es gibt dazu bislang keine schriftlichen Veröffentlichungen, diese Beobachtungen hat Jürgen Golz gemacht, der sich seit über 20 Jahren intensiv mit den verschiedenen Knick- und Legeformen von Feld- und Wallhecken befasst.
2: Für sie suchen wir aktuell noch nach verbliebenen Exemplaren und Menschen, die diese Technik noch kennen; der letzte uns bekannte Bericht darüber stammt von 2013.
3: Historisch rühren die beiden Begriffe daher, dass man bei der Pflege einer in Stufen geschnittenen Hecke etwa ein Drittel der Pflanzen „auf den Stock“ setzte, also in Zaunpfahl-Höhe abschnitt, um etwa ein weiteres Drittel der Pflanzen auf diese Höhe herunterzubiegen und daran als Querverriegelung festzubinden. Das verbleibende Drittel wurde in noch niedrigere Höhe zurückgeschnitten („auf den Stubben gesetzt“), um für die Verjüngung und Verdichtung der Hecke im unteren Bereich zu sorgen.
4: In NRW wurde die Nieheimer Flechthecke tatsächlich als immaterielles UNESCO-Kulturerbe anerkannt.
5: Den fundierten Nachforschungen von Georg Müller zufolge, der mit allen verfügbaren Experten auf diesem Gebiet im Austausch darüber war, benötigen zwei (darin geübte) Personen für die Pflege (erneutes Knicken und Kürzen ist hier tendenziell alle zwei Jahre empfehlenswert) einer bestehenden geknickten Hecke für 100 m etwa fünf Stunden. Vgl. Georg Müller, Europas Feldeinfriedungen, Zwei Bände, Stuttgart 2013, I–482.
6: Als vorbildliches Beispiel kann hier das Freilichtmuseum Detmold angeführt werden, in dem verschiedene traditionelle Heckenformen aus NRW angelegt und mit Einladung der Bevölkerung zur Beteiligung jedes Jahr von Expert:innen gepflegt werden, die das Wissen in den letzten dreißig Jahren wieder belebt haben.